Westsahara: Besetzung unter deutschen Windkraftanlagen

30 Jahre lang herrschte eine weitgehende Waffenruhe zwischen Marokko und der sahrauischen Freiheitsbewegung Frente Polisario in der Westsahara, doch seit dem 13.11.2020 fallen wieder Schüsse entlang der von Landminen übersäten Sandmauer im Norden Westafrikas. Das marokkanische Militär hatte die Protest-Blockade einer bedeutsamen Handelsstraße durch sahrauische Zivilist*innen[1] gewaltsam aufgelöst und damit gegen das von den Vereinten Nationen (VN) vermittelte Waffenstillstandsabkommen von 1991 verstoßen. Die Route, die Marokko mit Mauretanien verbindet, wurde entgegen des Friedensabkommens seit 2001 ausgebaut und von Marokko zum Export von illegal in der Westsahara abgebauten Bodenschätzen[2] genutzt. Den militärischen Eingriff Marokkos wertete Frente Polisario und die von ihr 1976 ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als Kriegserklärung und griff auf Anweisung ihres Präsidenten Brahim Ghali marokkanische Militärstützpunkte entlang der von Marokko errichteten Grenze an. Dies bedeutete das Ende des ausgehandelten Waffenstillstands zwischen beiden Parteien. Nach sieben Tagen Kämpfen erklärten Vertreter*innen der Sahrauis, dass sie nun das gesamte Territorium der Sahrauischen Republik, einschließlich ihrer Land-, See- und Lufträume, als Kriegsgebiet betrachten und allen Ländern und Wirtschaftsakteuren raten, sich von diesem Gebiet fernzuhalten.[3]

Der Konflikt geht auf eine lange Geschichte zurück: Das Gebiet der Westsahara war von 1884 – 1974 spanisches Protektorat. 1973 bildete sich die von Algerien unterstützte sahrauische Freiheitsbewegung Frente Polisario mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit. Im Zuge der Entkolonialisierung erlangte die Westsahara allerdings nicht den Status eines souveränen Staates. Viel mehr übertrug Spanien die Verwaltung der Westsahara auf die Nachbarländer Marokko und Mauretanien und nicht an die Sahrauis selbst, wenn gleich die VN in Resolution 1514 (XV) von 1960 bereits eine Entkolonialisierung des Gebiets forderte. Als Reaktion auf die Besetzung der Westsahara durch Marokko und Mauretanien flohen Hunderttausende Sahrauis nach Algerien, was zum Rückzugsgebiet des sahrauischen Volks und dem Exil der Regierung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) wurde. Mauretanien zog sich 1979 nach Friedensverhandlungen mit Frente Polisaro aus dem Gebiet zurück, Marokko beharrte jedoch auf seinen territorialen Ansprüchen und annektierte das ehemalig mauretanische Gebiet. Im gleichen Jahr erklärten die VN Marokko zum Besetzer der Westsahara[4] – seither wurden über 100 Resolutionen[5]verabschiedet, die das Selbstbestimmungsrecht der sahrauischen Bevölkerung einfordern. Die Unabhängigkeit sollte seit 1991er Jahren mittels eines Referendums – begleitet von der UN Mission MINURSO – erreicht werden; bis heute fand dieses Referendum jedoch nicht statt und der Konflikt geriet in der internationalen Öffentlichkeit beinahe ins Vergessen.

Für Unternehmen und Wirtschaftsakteure diente die Region im Nordwesten Afrikas hingegen als Gebiet für äußerst lukrative Geschäfte. Bereits zu Zeiten der Marokkanisch-Mauretanischen-Besetzung in den 70ern galt die Region der Ausbeutung nützlicher Ressourcen des Wüstengebiets wie Phosphat, Gold, Kupfer, Uran und seltener Erden. Besonders das für Düngemittel benötige Phosphat wird von Marokko entgegen völkerrechtlicher Bestimmungen illegal abgebaut, exportiert und vor allem an Neuseeland, Indien und Kolumbien verkauft.[6] Ein Rechtsgutachten der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2002 zu Erdölsondierungen in den Gewässern der Westsahara durch Verträge zwischen Marokko und internationalen Firmen stellte zudem fest, dass die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung nur mit Zustimmung und im Einklang mit den Interessen und Wünschen der Bevölkerung erfolgen dürfe.[7] Wie bereits im Facing Finance Report „Okkupiert, Annektiert, Profitiert – Palästinensische Gebiete, Westsahara und Krim“ (2019)[8] untersucht, sind auch deutsche Unternehmen und ihre Finanziers an der Ausbeutung sahrauischer Ressourcen beteiligt. Beispielsweise wird der Energiebedarf der Phosphatmine von Phosbbuccra in der Westsahara zu 95% durch Gamesa – eine Tochterfirma des deutschen Technik-Riesens Siemens – gedeckt. Der von Siemens errichtete Windpark in Foum el Oued, einem Gebiet das unter UN Mandat liegt und somit nicht Teil Marokkos ist, liefert damit sowohl die Energie für den Abbau des Phosphats, als auch für das 100km lange Transportband, auf dem das Phosphat illegal nach Marokko exportiert wird.[9] Auch ContiTech, eine Tochtergesellschaft der deutschen Continental AG trägt maßgeblich dazu bei, die völkerrechtswidrige Rohstoffausbeutung effizient zu gestalten: Das deutsche Unternehmen ist nicht nur für die Instandhaltung des längsten Förderbands der Welt zuständig, sondern stellte nach eigenen Angaben auch Systeme bereit, durch die möglichst schnell und möglichst viel Phosphatgestein aus der Mine im sahrauischen Gebiet ans marokkanische Meer transportiert werden kann.

Weitere Unternehmen, die in diesem Zuge erst kürzlich scharfer Kritik ausgesetzt waren, sind unter anderem Köster Marine Proteins GmbH, die im großen Stil Handel mit Fischmehl aus der Westsahara betreibt oder auch HeidelbergCement, ein deutscher Baustoffkonzern mit 143 Zementwerken weltweit – eines davon ohne Abstimmung mit der sahrauischen Bevölkerung in El Aaiún, der Hauptstadt Westsaharas. Die deutsche Post-Tochter DHL eröffnete 2016 einen Standort in El Aaiún, verortete wenig später die Filiale genau wie HeidelbergCement laut eigenen Aussagen im Süden Marokkos und bekräftigt damit die völkerrechtswidrige Annexion des Gebiets durch Marokko.[10]

All diesen Aktivitäten ist gemein, dass die sahrauische Bevölkerung diese weder legitimiert hat noch sonderlich davon profitiert. Dass mit Marokko geschlossenen Verträge sahrauisches Gebiet nicht beinhalten dürfen, um als völkerrechtskonform zu gelten, wurde vor dem Hintergrund europäisch-marokkanischer Handelsbeziehungen bereits durch mehrere Urteile des EuGHs unterstrichen.[11] Das Urteil des EuGHs hindert Unternehmen jedoch nicht, Rohstoffe aus der Sahara zu importieren. Um den zivilen und vor allem kommerziellen Verkehr zwischen Marokko und Mauretanien „ein für alle Mal zu sichern“, wurde die 2 700 km lange Sandmauer zwischen dem marokkanischem und sahrauischen Gebiet laut marokkanischen Regierungschef Saâd-Eddine El Otmani im Zuge der jüngsten Geschehnisse bis an die mauretanische Grenze ausgebaut.

Indes gibt sich Marokko friedfertig und proklamiert die Konfliktlösung eines autonomen sahrauischen Gebiets innerhalb des marokkanischen Königreichs – und stößt damit nicht auf taube Ohren: Neben den bereits 16 existierenden Konsulaten, kündigte Jordanien bereits die Eröffnung einer Auslandsvertretung für Marokko auf sahrauischem Gebiet an, weitere Staaten sollen folgen. Dies ist ein weiterer Schritt, um die marokkanische Besetzung in der Westsahara zu stützen und den Konflikt zu festigen. Für die Sahrauis bedeutet die diplomatischen Anstrengungen Marokkos ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur Durchführung des lang ersehnten Referendums und ihrer Unabhängigkeit. Die VN warnen vor einer Eskalation der Lage in der Westsahara und rufen zur Einhaltung des Waffenstillstands auf. Bisherige Bemühung waren erfolglos, jedoch strebt der VN-Generalsekretär an, alle Hindernisse für die Wiederaufnahme des politischen Prozesses zu beseitigen. Die VN Mission MINURSO ist fest entschlossen, ihr Mandat weiter auszuführen.[12]

 

Autorinnen: Mareike Schäfer und Frederike Potts

 

 

[1] Western Sahara Ressource Watch (2020) „Sahrauis in Deutschland kritisieren Siemens, Conti, DHL & Co“. Abrufbar unter: https://www.wsrw.org/a180x4843

[2] Gesellschaft für bedrohte Völker (2017) „Westsahara: Gericht stoppt Phosphat-Frachter. EU muss Importe aus besetztem Gebiet überprüfen“. Abrufbar unter: http://www.gfbv.it/2c-stampa/2017/170505de.html

[3] Western Sahara Ressource Watch (2020) „Saharawi gov calls for halt of all activity in Western Sahara over war“. Abrufbar unter: https://www.wsrw.org/a105x4854

[4] Facing Finance (2019) „Okkupiert, Annektiert, Profitiert – Palästinensische Gebiete, Westsahara und Krim“. S. 54. Abrufbar unter: https://www.facing-finance.org/files/2019/08/ff_ot-bericht_v10.pdf

[5] Facing Finance (2019) „Okkupiert, Annektiert, Profitiert – Palästinensische Gebiete, Westsahara und Krim“. S. 54. Abrufbar unter: https://www.facing-finance.org/files/2019/08/ff_ot-bericht_v10.pdf

[6] Western Sahara Research Watch (2020) „Neuer Bericht: Phosphatexport aus der Westsahara halbiert“. Abrufbar unter: https://www.wsrw.org/a180x4652.

[7] United Nation Security Council (2002) „Letter dated 29 January 2002 from the Under-Secretary-General for Legal Affairs, the Legal Counsel, addressed to the President of the Security Council „. Abrufbar unter: https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3CF6E4FF96FF9%7D/s_2002_161.pdf

[8] Facing Finance (2019) „Okkupiert, Annektiert, Profitiert – Palästinensische Gebiete, Westsahara und Krim“. Abrufbar unter: https://www.facing-finance.org/files/2019/08/ff_ot-bericht_v10.pdf

[9] Western Sahara Research Watch (2020) „P for Plunder. Marocco‘s exports of phosphates from occupied Western Sahara. Abrufbar unter: https://www.wsrw.org/files/dated/2020-02-24/p_for_plunder_2020-web.pdf

[10] Western Sahara Research Watch (2020) „Stock-exchange registered companies in occupied Western Sahara“ Abrufbar unter: https://www.wsrw.org/a106x4348.

[11] Deutsche Welle (2018) „EuGH-Urteil: Keine EU-Fischerei vor der Küste der Westsahara“. Abrufbar unter: https://www.dw.com/de/eugh-urteil-keine-eu-fischerei-vor-der-küste-der-westsahara/a-42755977.

[12] United Nations Secretary General (2020) „Statement attributable to the Spokesperson for the Secretary-General – on Western Sahara“. Abrufbar unter: https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2020-11-13/statement-attributable-the-spokesperson-for-the-secretary-general-western-sahara