ESG-gebundene Kredite immer beliebter – gute Nachrichten….oder?

Gute Nachrichten: An Nachhaltigkeit gebundene Kredite sind auf dem Vormarsch! Das berichtet das Handelsblatt. Laut des Informationsdienstes Dealogic machten ESG-gebundene Kredite in den ersten neun Monaten von 2022 20 Prozent der Konsortialkredite – Kredite, die eine Gruppe von Banken gemeinsam vergibt – aus.

Die Zahl der geldpolitischen und gesetzlichen Initiativen, die die Einbeziehung von ESG-Kriterien bei Investitionsentscheidungen fördern und einfordern steigt stetig an. So gibt es beispielsweise die sogenannten ESG-gebundenen Kredite oder Anleihen, die für mehr Nachhaltigkeit Zinsrabatte gewähren und sogenannte „Green (and social) Loans“ – zweckgebundene Finanzierungen für ökologische Projekte oder Geschäftsmodelle.

Besonders ersteres finanziert aber eben nicht zwangsläufig nachhaltige Vorhaben. Sowohl bei der Deutschen Bank als auch bei der Commerzbank sind ESG-gebundene Kredite nicht zweckgebunden, d.h. Unternehmen können die Finanzierung anwenden, wofür sie wollen. Was diese von anderen Krediten unterscheidet, ist, dass die Zinskonditionen an eine Nachhaltigkeitskennzahl gebunden sind. Dies kann der CO2-Ausstoß sein oder ein ESG-Rating einer anerkannten Ratingagentur. Bei Kreditvergabe einigen sich der Kreditnehmer und die Bank auf bestimmte Nachhaltigkeitsziele und wenn diese nicht erreicht bzw. übertroffen werden, verschlechtern bzw. verbessern sich die Zinsbedingungen. So sollen Anreize für mehr Nachhaltigkeit geschaffen werden. Leider gibt keine der beiden Großbanken eigene Mindestkriterien an, die ihre Kreditnehmer mindestens erreichen müssen. Die Commerzbank schreibt lediglich, dass sie sich an der Taxonomie „orientiert“[1] und die Deutsche Bank schreibt: „In der Praxis haben sich individuell vereinbarte KPIs [Key Performance Indicators; dt. Spezifische Nachhaltigkeitskennzahlen] durchgesetzt, weil diese die Unternehmensrealität in der Regel besser abbilden als ESGRatings.”[2] Andere Großbanken, wie die DZ Bank, handeln diesbezüglich ähnlich. Dies bedeutet, dass sich Bank und Unternehmen aussuchen können, wie streng sie die Nachhaltigkeitskriterien gestalten, an die ihr Kredit gebunden ist. Das macht ESG-gebundene Kredite sehr anfällig für Greenwashing, was in der aktuellen gesetzlichen Lage nur durch vollkommene Transparenz bezüglich ESG-gebundener Finanzierungsverträge vermieden werden kann. Es wäre beispielsweise kein Problem mit diesen Krediten chinesische Atomkraft oder Gas aus Katar zu finanzieren, solange sich das ESG-Rating oder irgendein anderer Faktor, den sich Bank und Unternehmen ebenfalls aussuchen können, verbessert – egal von welchem niedrigen Basisniveau aus.

Ein Beispiel für die fragwürdige Anwendungsweise von ESG-gebundenen Krediten bietet uns das Rüstungsunternehmen Thales, welches direkt in Waffenlieferungen in zahlreiche Konfliktgebiete verwickelt ist.[3] Das Unternehmen erhielt 2020 einen 1,5 Milliarden Euro schweren ESG-gebundenen Konsortialkredit von vielen verschiedenen internationalen Banken, darunter auch die Deutsche Bank, Commerzbank und UniCredit. Im Fall von Thales sind die Kreditbedingungen an den CO2-Fußabdruck des Unternehmens gebunden, was bedeutet, dass dieser sogenannte ESG-gebundene (ESG=Environmental, Social, Governance) Kredit zwar den E-Aspekt, also Umwelt, berücksichtigt, aber sowohl soziale als auch Unternehmensführungsaspekte vollkommen außer Acht lässt.[4] Vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine hatte die Rüstungsindustrie zunehmend Schwierigkeiten von Banken Kredite zu bekommen. Das konnte man unter anderem daran feststellen, dass sie verstärkt bei der EU und auch bei unserer NGO Facing Finance dafür lobbyierten als „sozial nachhaltig“ in einer künftige soziale EU-Taxonomie berücksichtigt zu werden, da sie zur Friedenssicherung beitragen würden.[5] Nun stellt sich natürlich die Frage, ob ESG-gebundene Kredite die Tür zur weiteren Finanzierung von Rüstungskonzernen wieder weiter aufgestoßen haben, also ob sie die Hemmschwelle für Banken senken, weiterhin Kredite an kontroverse Unternehmen zu vergeben. Der Kredit an Thales beispielsweise ist an keine weiteren Bedingungen außer der Verminderung des CO2-Austoßes gebunden und kann für alle Bereiche und Projekte des Unternehmens genutzt werden. Bieten ESG-gebundene Kredite den Banken also einen einfachen Ausweg sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen zu schreiben, ohne ihre Finanzierung an konkrete Bedingungen zu knüpfen? Im Fall von Thales (und anderen Rüstungsunternehmen) könnte dies so aussehen, dass ein wirklich nachhaltiger ESG-gebundener Kredit nur Projekte finanziert, welche keine Konflikte unterstützen oder zumindest bestimmte Waffengruppen von der Finanzierung auszuschließen, welche von der UN als besonders gefährlich für Zivilist*innen eingestuft werden. Zudem müsste ein solcher Kredit die unverhältnismäßig hohen Emissionen der militärischen Luftfahrtbranche adressieren.

Der Artikel im Handelsblatt erwähnt ebenfalls, dass sich Unternehmen, einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey zufolge, in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 in Deutschland bereits mehr Geld über ESG-gebundene Kredite und Anleihen geliehen haben als im gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. Experten gingen davon aus, dass die Nachfrage weiter steigen wird. Es kann für Unternehmen sehr vorteilhaft sein, nachhaltige Finanzierung zu nutzen. Neben den möglichen Zinsrabatten hat es Reputationsvorteile, da die Unternehmen ihren Kund*innen zeigen können, dass sie nachhaltig handeln, was in der Gesellschaft zunehmend wichtig wird. Die 74 Milliarden Euro ESG-gebundene Finanzierung, die deutsche Unternehmen in den ersten neun Monaten von 2022 erhalten haben, scheinen allerdings sehr wenig, wenn man bedenkt, dass deutsche Unternehmen 2021 über 1700 Milliarden Euro in Krediten insgesamt erhalten haben und diese Zahl jedes Jahr steigt.[6] Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Finanzierung, die Banken an Unternehmen ausgeben, kaum bis keinen Nachhaltigkeits- oder Sozialstandards unterliegen und deutsches Geld somit weltweit Umweltsünden und Menschen- und Arbeitsrechtsverstöße unterstützt.

Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass ESG keiner verbindlichen Definition unterliegt und dass ESG-gebundene Kredite und Anleihen somit nur den Nachhaltigkeitskriterien der einzelnen Banken unterliegen. Wie streng diese Kriterien wirklich sind, kann man in unserem Fair Finance Guide nachlesen. So kommt es leider nicht selten vor, dass mit einem ESG-gebundenen Darlehen trotzdem klimaschädliche Projekte und Geschäftsmodelle oder Menschenrechtsverletzungen unterstützt werden.

Das Interesse an nachhaltiger Geldanlage steigt in der Zivilgesellschaft und dies spiegelt sich im Verhalten der Banken und Unternehmen wider, wenn auch in kleinerem Maße als wünschenswert. Um so wichtiger ist es, von Finanzinstituten zu fordern, robuste und transparente Nachhaltigkeitskriterien an Finanzierungsgeschäfte zu knüpfen. Eine weitere „Greenwashing-Offensive“ der Finanzindustrie wird den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft jedenfalls nicht bewerkstelligen.

[1] https://www.firmenkunden.commerzbank.de/portal/de/cb/de/firmenkunden/produkte-4/corporate-finance/green-loans/kpi_gebundener_bilateraler_kredit.html

[2] https://www.deutsche-bank.de/ub/results/results-kundenprojekt/babor.html

[3] https://exitarms.org/filter?search_api_fulltext=thales

[4] https://www.thalesgroup.com/en/group/journalist/press-release/thales-signs-eu15-bn-climate-linked-revolving-credit-facility

[5] https://www.handelsblatt.com/politik/international/finanzierungsregeln-subjektive-vorstellungen-von-sozialer-gerechtigkeit-eu-kommission-plant-nun-auch-soziale-taxonomie/28054210.html

[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6798/umfrage/kredite-an-unternehmen-und-selbstaendige/

Autorin: Charlotte Feldmann