Die andere Seite des E-Auto-Booms – Deutsche Finanzinstitute und Lithiumabbau in Südamerika

Aktuell erleben wir den Durchbruch der Elektromobilität. Das für die E-Auto-Batterien benötigte Lithium wird weit entfernt von Europa abgebaut, in China, Australien und Südamerika. Die drei Länder mit den größten Lithiumvorkommen sind Bolivien, Argentinien und Chile.[1] Im südamerikanischen Lithiumdreieck, der Grenzregion zwischen Argentinien, Bolivien und Chile, befinden sich 68% der weltweiten Lithiumvorkommen und 87% des in Salzseen befindlichen Lithiums.[2] Obwohl die Lithiumkonzerne nicht in Europa, sondern in China, Australien und beiden Amerikas ansässig sind, hat Deutschland Einfluss auf den Lithiumabbau, da deutsche Autokonzerne große Abnehmer von Lithiumbatterien sind und deutsche Finanzinstitute Allianz, Deutsche Bank, DZ Bank, DekaBank, LBBW, Commerzbank in jene Konzerne investieren, die bei der Lithiumproduktion für Umweltschäden, Korruption und Missachtung der Rechte indigener Gruppen verantwortlich sind.

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Anfangs löste der beginnende Lithiumboom Optimismus im Länderdreieck aus, da er die Chance bot, endlich vom eigenen Ressourcenreichtum zu profitieren und Lithium vor Ort zu Industriegütern wie E-Auto-Batterien weiterzuverarbeiten und nicht direkt als Rohstoff zu exportieren.[3] Doch die Hoffnung auf lokale Weiterverarbeitung erfüllte sich nicht.[4] Die Lithiumunternehmen, Batterieproduzenten und Autokonzerne wollen nur den Rohstoff aus Südamerika, aber keine Weiterverarbeitung vor Ort und keinen Technologietransfer.[5] Die Lithiumkonzerne wehren sich häufig nicht nur gegen die Batterieproduktion in Südamerika, sondern auch gegen die dortige Verarbeitung von Lithiumkarbonat zu Lithiumhydroxid mit hohem batterietauglichen Reinheitsgrad, was etwas mehr lokale Wertschöpfung bedeuten würde. So produzieren Orocobre, FMC (jetzt Livent), SQM und Albemarle in Südamerika lieber billigeres Lithiumkarbonat mit geringerem Reinheitsgrad und andernorts dagegen Lithiumhydroxid, z.B. in Australien.[6]

Die Salzseen, in denen das südamerikanische Lithium abgebaut wird, sind sehr sensible Ökosysteme.[7] Der Wasserverbrauch ist bei der Lithiumproduktion nicht so hoch wie beim Abbau anderer Rohstoffe, doch das Lithiumdreieck gehört zu den trockensten Gebieten der Welt.[8] Die Firma SQM, die seit 1997 in Chile Lithium fördert, pumpt laut Unternehmensangaben pro Sekunde 180 Liter Süßwasser aus dem Salzsee.[9] Hinzukommt, dass durch das Hinzufügen verschiedener Chemikalien die Gefahr von Umweltschäden an den Salzseen besteht, wobei verschiedene Abbaumethoden die Umwelt mehr oder weniger stark belasten.[10] Im argentinischen Salar del Hombre Muerto, wo lange der US-Konzern FMC Lithium abgebaut hat und jetzt sein Spin-Off Livent produziert, wurde ein Teil der Abfälle wieder in den Salzsee geleitet.[11] In Chile verheimlichte der Konzern SQM Informationen über seine tatsächliche Süßwassernutzung, manipulierte pH-Werte und brach 2013-2015 die Umweltauflagen, indem er mehr Wasser aus dem Salar de Atacama pumpte als erlaubt.[12] Dabei ist die Lithiumförderung aus Salzseen weniger umweltschädlich als andere Formen des Rohstoffabbaus.[13] Das Hauptproblem ist, dass sich die Lithiumkonzerne häufig neuen, umweltfreundlichen Abbaumethoden verschließen, da sie bereits viel Kapital in ihre aktuellen Anlagen investiert haben.[14] Immer wieder verweigern sie Wissenschaftler*innen, die umweltfreundliche Abbaumethoden testen wollen, den Zugang zu den Salzseen.[15]

Auch an das Recht indigener Menschen auf freie, vorab durchgeführte und auf Information basierende Zustimmung Free, Prior and Informed Consent (FPIC) , wie es im 169. Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation vorgesehen ist, hielten sich die Lithiumkonzerne in Südamerika nicht. So bestachen beispielsweise die Lithiumunternehmen Orocobre und Minera Exar, ein Joint Venture aus Lithium Americas und Ganfeng Lithium, einige Indigene aus dem argentinischen Dorf Salinas Grandes, um Unterschriften für die Lithiumförderung vor Ort zu bekommen.[16] Des Weiteren haben die Lithiumkonzerne in Chile bis 2016 und in Argentinien bis heute kaum Steuern gezahlt.[17] In Argentinien kontrollieren die Provinzen und nicht der Zentralstaat die Bodenschätze, sodass die Lithiumkonzerne die Provinzen gegeneinander ausspielen und es einen Unterbietungswettlauf bei den Regulierungen zu Umwelt und Steuern gibt.[18]

Die Einflussnahme der Lithiumkonzerne lässt sich exemplarisch an der chilenischen Firma SQM sehen, die 2015 einen der größten Korruptionsskandale der südamerikanischen Geschichte ausgelöst hat. Dabei verloren 58 chilenische Staatsfunktionäre ihren Job, da sie illegale Zahlungen von SQM erhalten hatten.[19] Auch das zweite Unternehmen, das in Chile Lithium fördert, der US-Konzern Albemarle, nutzt seinen Einfluss aus. 2017 weigerte sich Albemarle, wie vertraglich vorgesehen, 25% seines Lithiums zu einem vergünstigten Preis für eine mögliche lokale Weiterverarbeitung bereitzustellen. Stattdessen verzögerte Albemarle den Prozess und nutzte einen Regierungswechsel kurze Zeit später aus, in Folge dessen ein ehemaliger Albemarle-Berater neuer Chef der chilenischen Staatsbehörde, die die Lithiumvorkommen des Landes kontrolliert, wurde. Kaum überraschend ging dieser sanft mit dem Konzern um und zwang ihn nicht zur Vertragseinhaltung.[20]

Die Lithiumkonzerne haben durch ihr Handeln dazu beigetragen, dass die Lokalbevölkerung im südamerikanischen Lithiumdreieck häufig nur die Nachteile des Lithiumabbaus (Umweltschäden, Wasserverbrauch, Korruption, Verletzung der Rechte indigener Gruppen) erfährt und kaum mögliche Vorteile (umweltfreundliche Abbautechniken, Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, hohe Steuereinnahmen, technischer Fortschritt, lokale Weiterverarbeitung statt direkter Rohstoffexport).

Unter den Investor*innen dieser Lithiumkonzerne befinden sich auch deutsche Finanzinstitute. So halten die Allianz ($27 Millionen), die Deutsche Bank über die DWS (mehr als $25 Millionen), die DZ Bank, die DekaBank, die LBBW und die Commerzbank Aktien von Albemarle, dem US-Konzern, der Vertragsbruch in Chile beging.[21] An SQM, dem chilenischen Konzern, der den großen Korruptionsskandal auslöste, halten deutsche Finanzinstitute ebenfalls Anteile, so die Allianz (über $25 Millionen), die Deutsche Bank über die DWS und die Deutsche Asset & Wealth Management, die DekaBank und die DZ Bank.[22]

Auch in FMC und sein Spin-Off Livent, die in Argentinien die Lockerung der Umweltauflagen erreicht haben, investieren deutsche Finanzinstitute. So halten die Allianz (mehr als $22 Millionen), die Deutsche Bank über die DWS und die Deutsche Asset Management Americas (ca. $17 Millionen), die DZ Bank und die LBBW Anteile an Livent.[23] Die Deutsche Bank über die DWS und die Deutsche Asset & Wealth Management (ca. $76 Millionen), die Allianz, die DekaBank und die Commerzbank sind ebenfalls an FMC beteiligt.[24]

Deutsche Finanzinstitute sind zudem am australischen Bergbaukonzern Orocobre beteiligt, der sich beharrlich weigert, wenigstens Lithium mit höherem Reinheitsgrad in Argentinien zu produzieren. Die Allianz hält Orocobre-Aktien im Wert von über $14 Millionen und die DZ Bank über die Union Investment in Höhe von mehr als $3 Millionen.[25] Zu den Aktionären von Galaxy Resources, das demnächst mit Orocobre fusioniert, zählt auch die Allianz ($14 Millionen).[26]

Letztlich investieren deutsche Finanzinstitute auch in die Unternehmen Lithium Americas und Ganfeng Lithium, die gemeinsam das Joint Venture Minera Exar bilden, das Dorfbewohner in Argentinien bestach. So halten die DZ Bank und die Deutsche Bank über die DWS und die Deutsche Asset Management Americas Anteile an Lithium Americas. Zudem managte die Deutsche Bank im Januar 2021 die Ausgabe neuer Lithium Americas-Aktien im Wert von $82,5 Millionen.[27] An Ganfeng Lithium sind unter anderem die Allianz ($149 Millionen) und die Deutsche Bank über die DWS und die DB Asset Management ($13 Millionen) beteiligt. Zusätzlich managte die Deutsche Bank im Oktober 2018 mit anderen Finanzinstituten die Ausgabe neuer Ganfeng Lithium-Aktien in Höhe von $422 Millionen.[28]

Als Anteilseigner*innen dieser Konzerne sind die deutschen Finanzinstitute Allianz, Deutsche Bank, DZ Bank, DekaBank, LBBW und Commerzbank indirekt mitverantwortlich für die Umweltschäden, die Verstöße gegen die Auflagen zur Wassernutzung, die Korruption und die Missachtung der Rechte indigener Gemeinschaften. Sie sollten ihren Einfluss dafür nutzen, dass die Lithiumkonzerne in Südamerika (ordentlich) Steuern zahlen, die argentinischen Provinzen nicht gegeneinander ausspielen, ihren Widerstand gegen die lokale Weiterverarbeitung zu Batteriekomponenten aufgeben und statt Lithiumkarbonat mit geringem Reinheitsgrad in Südamerika eher Lithiumhydroxid in Batteriequalität produzieren.

Außerdem ruft Facing Finance die deutschen Finanzinstitute auf, alles dafür zu tun, Umweltschäden und Wasserverluste zu stoppen, indem Forscher*innen der Zutritt zu allen Salzseen gewährt wird und neue Abbautechniken mit geringem Wasserverbrauch, kaum oder keinem Chemikalieneinsatz sowie kleinen Abfallmengen angewendet werden. Sie sollten dafür sorgen, dass die Lithiumkonzerne endlich alle Verträge einhalten, Korruption und Vetternwirtschaft beenden, die Rechte indigener Gruppen achten, hochwertige Arbeitsplätze auch für die Lokalbevölkerung schaffen und diese auf Augenhöhe in die Entscheidungsprozesse einbinden. Die beteiligten deutschen Finanzinstitute müssen Sorge tragen, dass der Übergang zur Elektromobilität nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt im globalen Süden vonstatten geht.

 

Autor: Luca Schiewe

 

[1] U.S. Geological Survey (2021) Mineral commodity summaries 2021, U.S. Geological Survey 200, Virginia, S.99.

[2] Fornillo, B., Gamba, M. & Zicari, J. (2019) “El mercado mundial del litio y el eje asiático. Dinámicas comerciales, industriales y tecnológicas”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.51.

[3] Grupo de Estudios en Geopolítica y Bienes Comunes (2019) Litio y transición socio-ecológica en Sudamérica, Friedrich Ebert Stiftung Analyse nr.51, Argentinien, S.9.

Burchardt, H., Dietz, K. (2014) (Neo-)extractivism – a new challenge for development theory from Latin America, Third World Quarterly, 35:3, Großbritannien, S.468.

[4] López, A., et. al (2019) Litio en la Argentina: Oportunidades y desafíos para el desarrollo de la cadena de valor, Interamerikanische Entwicklungsbank, Argentinien, S.140.

[5] Schiewe, L. (2021) Litio y el (neo)extractivismo: ¿Por qué el triángulo del litio exporta el litio como materia prima y no hay industrialización local?, Erfurt, S.23/33.

[6] https://salesdejujuy.com/projects/

https://www.orocobre.com/operations/salar-de-olaroz/

https://s25.q4cdn.com/757756353/files/doc_news/2021/JEA_22ene2021_esp_final.pdf

https://albemarle.gcs-web.com/static-files/9c7c3aee-7afb-4324-8b9d-8c6bde692ee0

López, A., et. al (2019) Litio en la Argentina: Oportunidades y desafíos para el desarrollo de la cadena de valor, Interamerikanische Entwicklungsbank, Argentinien, S.90.

[7] Argento, M., Puente, F. & Slipak, A. (2017) “Qué debates esconde la explotación del litio en el noroeste argentino? Perspectivas y proyecciones sobre la dinámica empresa-estado-comunidad”, in Alimonda, H., Martín, F. & Pérez, C. Ecología política latinoamericana. Pensamiento crítico, diferencia latinoamericana y rearticulación epistémica, CLACSO, Argentinien, S.425.

[8] Anlauf, A. (2015) “Secar la tierra para sacar litio? Conflictos socio-ambientales en la mineria del litio”, in Nacif, F., Lacabana, M. ABC del litio sudamericano. Soberanía, ambiente, tecnología e industria, Universidad Nacional de Quilmes, Argentinien, S.171.

[9] https://www.sqm.com/wp-content/uploads/2020/10/SQM_Litio_Sustentable.pdf

[10] Kazimierski, M., Slipak, A. (2019) “Exposición de las técnicas y saberes para la extracción de litio”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.302.

[11] López, A., et. al (2019) Litio en la Argentina: Oportunidades y desafíos para el desarrollo de la cadena de valor, Interamerikanische Entwicklungsbank, Argentinien, S.47.

[12] Reveco, S., Slipak, A. (2019) “Historias de la extracción, dinámicas jurídico-tributarias y el litio en los modelos de desarrollo de Argentina, Bolivia y Chile”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.111.

[13] Argento, M., Puente, F. & Slipak, A. (2017) “Qué debates esconde la explotación del litio en el noroeste argentino? Perspectivas y proyecciones sobre la dinámica empresa-estado-comunidad”, in Alimonda, H., Martín, F. & Pérez, C. Ecología política latinoamericana. Pensamiento crítico, diferencia latinoamericana y rearticulación epistémica, CLACSO, Argentinien, S.424.

[14] Schiewe, L. (2021) Litio y el (neo)extractivismo: ¿Por qué el triángulo del litio exporta el litio como materia prima y no hay industrialización local?, Erfurt, S.23.

[15] Fornillo, B., Gamba, M. (2019) “Política, ciencia y energía en el triángulo del litio”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.144.

López, A., et. al (2019) Litio en la Argentina: Oportunidades y desafíos para el desarrollo de la cadena de valor, Interamerikanische Entwicklungsbank, Argentinien, S.57.

[16] https://www.mineraexar.com.ar

Argento, M., Puente, F. (2015) “Nuevos extractivismos, viejos conflictos. Dinámicas territoriales en torno a la explotación del litio en el Noroeste argentino”, in Latorre, S., Martínez, A. Extractivismo y conflictividad. Nuevos actores y nuevos contextos en América Latina, Revista Economía, vol. 67, no.105, Ecuador, S.117.

[17] Reveco, S., Slipak, A. (2019) “Historias de la extracción, dinámicas jurídico-tributarias y el litio en los modelos de desarrollo de Argentina, Bolivia y Chile”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.89.

[18] López, A., et. al (2019) Litio en la Argentina: Oportunidades y desafíos para el desarrollo de la cadena de valor, Interamerikanische Entwicklungsbank, Argentinien, S.142.

[19] Reveco, S., Slipak, A. (2019) “Historias de la extracción, dinámicas jurídico-tributarias y el litio en los modelos de desarrollo de Argentina, Bolivia y Chile”, in Fornillo, B. Litio en Sudamérica. Geopolítica, energía y territorios, El Colectivo, CLACSO, Argentinien, S.112.

[20] Schiewe, L. (2021) Litio y el (neo)extractivismo: ¿Por qué el triángulo del litio exporta el litio como materia prima y no hay industrialización local?, Erfurt, S.17.

[21] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 11.06.2021.

[22] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 17.06.2021.

[23] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 17.06.2021.

[24] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 22.06.2021.

[25] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 18.06.2021.

[26] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 22.06.2021.

[27] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 22.06.2021.

[28] Abgerufen in Refinitiv Eikon am 22.06.2021.