Tagebuch einer Libanon-Recherchereise

Treffen mit Adham Najdi (24 Jahre) - Opfer von Streumunition
Meeting with Adham Naji (24) – victim of a cluster munition in Southern Lebanon (15,000 inhabitants) close to the border to Israel. On 15.09.2006, Adham became victim of cluster munitions when he helped clearing his grandfather‘s house which had been hit by bombs during the recently finished Lebanon War. Since that day he is paraplegic. He is one of 400 victims cluster munitions have claimed during this war.

5 Jahre nach dem Einsatz von Streumunition im Libanon – Eine Recherchereise

Anlässlich der zweiten Vertragsstaatenkonferenz (2MSP) zur Konvention zu Streumunition in Beirut, Libanon (12.-16. September 2011) reist FACING FINANCE mit einem Fernsehteam des ZDF in den Libanon, um den humanitären Einsatz von Streumunition im Libanon zu dokumentieren und um auf der Konferenz ein Verbot der Finanzierung der Herstellung bzw. der Hersteller dieser Waffen zu fordern. FACING FINANCE wird ein Opferhilfsprojekt und ein Frauen-Kampfmittelräumteam der Norwegian People`s Aid (NPA) im Südlibanon besuchen. Die Reise wird vom EED (Evangelischer Entwicklungsdienst) unterstützt.

Nicht explodierte Streumunition
Nicht explodierte Streumunition

Hintergrundinfos zu Streumunition und der Einsatz im Libanon:

Der Einsatz von Streumunition hat weltweit schätzungsweise 100.000 Opfer gefordert. 2006 wurden allein im südlichen Libanon mehrere Millionen Submunitionen durch Israel eingesetzt. Die Konvention zu Streumunition, die am 1. August 2010 in Kraft getreten ist, verbietet Einsatz, Produktion, Lagerung und Handel mit Streumunition. Sie ist damit der bedeutendste Abrüstungsvertrag seit dem Inkrafttreten des Verbotsabkommens zu Antipersonenminen im Jahr 1997. Mehr als 100 Staaten, darunter Deutschland, haben die Konvention bereits unterzeichnet.

Im Libanon wurde Streumunition hauptsächlich seitens der israelischen Streitkräfte in den Auseinandersetzungen im August 2006 eingesetzt. Israel hat hier schätzungsweise vier Millionen Submunitionen eingesetzt, von welchen hunderttausende nicht explodiert sind und als Blindgänger eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen. Bis 2010 wurden 366 Unfälle mit Streumunitions-Blindgängern registriert. Zwischen 1975 und Juni 2011 wurden insgesamt 3.846 Unfälle registriert (900 Tote und 2946 Verletzte).

Voraussichtliche Ausstrahlungstermine der ZDF Beiträge:

ZDF Infokanal, 22.09.2011, 18:02 Uhr; 23.09.2011, 08:45 Uhr; 25.09.2011, 23:30 Uhr .

ZDF Mona Lisa, 24.09.2011, 18:00 Uhr.

Reisetagebuch Tag 1: 11. September 2011

Wir treffen Adham Najdi. Er ist 24 Jahre alt und lebt in der Stadt Srifa.

Treffen mit Adham Najdi (24 Jahre) - Opfer von Streumunition
Treffen mit Adham Najdi (24 Jahre) – Opfer von Streumunitionim Süden des Libanon (15.000 Einwohner) nahe der israelischen Grenze. Adham wurde am 15.9.2006 Opfer von Streumunition, als er kurz nach dem Libanonkrieg bei Aufräumarbeiten eines zuvor bombardierten Hauses seines Großvaters half. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Er ist damit einer von 400 Opfer, die Streumunition in diesem Krieg gefordert hat.

Adham sagt, er musste sein Leben neu ordnen lernen und dass er in eine neue Lebensphase eingetreten sei. Er kann seinen Körper nicht mehr so nutzen wie vor dem Unfall und ist ständig auf Hilfe aus dem Familienkreis und von Hilfsorganisationen angewiesen. Trotzdem hat Adham den Weg ins alltägliche Leben wiedergefunden. Voller Stolz zeigte er uns sein kleines soziales Projekt, welches er für Jugendliche vor Ort aufgebaut hat. Er hält die Arbeit von NGOs weltweit für sehr wichtig und will auch an der morgen beginnenden Vertragsstaatenkonferenz in Beirut teilnehmen. Er hofft darauf, dass die Konferenz mehr als leere Versprechungen bringt und weitere Länder dem Verbot von Streumunition beitreten.

Auf die Frage, was er von Banken hält, die Streumunition finanzieren, antwortet Adham, dass es moralisch nicht vertretbar sei, die Herstellung einer Waffe zu finanzieren, die vor allem zivilen Opfern großes Leid zufügt.

Begleitet wurden wir von einem Filmteam des ZDF und von Khaled Yamout von der norwegischen Hilfsorganisation NPA. Morgen besuchen wir ein Minenräumteam, in dem ausschließlich Frauen arbeiten.

Räumen von Streumunition bei Tyre im Libanon
Räumen von Streumunition bei Tyre im Libanon

Reisetagebuch, Tag 2, 12. September 2011

Wir fahren nach Tyre in das Hauptquartier der Hilfeorganisation NPA. Nachdem wir eine kurze Einführung in die Streumunitions-Problematik im Süden Libanons erhalten haben, geht es weiter nach Nabatijeh. Die Stadt liegt weit im Süden des Libanon, knapp 30km von der israelischen Grenze entfernt. Stolz, aber ein wenig chaotisch präsentierten die libanesische Armee und zivile Organisationen den über 200 Teilnehmer/innen der 2. Vertragsstaatenkonferenz seine Räum- und Hilfsprojekte und ließ sogar zu Demonstrationszwecken Streumunition explodieren. Viel beeindruckender jedoch als das offizielle Besuchsprogramm war unser Besuch bei einem Frauenräumteam tief im Landesinneren, das von der Hilfsorganisation Norwegian People´s Aid  organisiert wird. Acht Frauen sind aktuell in der Nähe des Dorfes Ayta Al Jabal damit beschäftigt, Streumunition zu räumen. Lamis Zein, 33 Jahre, ist die Chefin des Teams. Seit 4 Jahren arbeitet sie in diesem Job. Stolz erzählt sie, dass sie die 1. Frau im Libanon sei, die die Erlaubnis habe, Blindgänger zu sprengen. Die Mutter zweier Töchter hat ihren Beruf als Lehrerin freiwillig aufgegeben, um einen direkten Beitrag dazu zu leisten, ihre Heimat wieder sicher zu machen.

Bei Lamis Zein, Chefin des Frauen-Minenräumteams bei Ayta Al Jabal, Lebanon
Bei Lamis Zein, Chefin des Frauen-Minenräumteams bei Ayta Al Jabal, Lebanon

Nach dem Projektbesuch lädt sie uns und das TV-Team vom ZDF zu sich nach Hause ein. Ihre „komplette“ Familie empfängt uns warmherzig – und auch die Eltern sind stolz auf ihre Tochter. Angst scheinen alle kaum zu kennen –  in einem konfliktträchtigen Land, in dem eine hohe Militärpräsenz zum alltäglichen Leben dazugehört, haben sich die Menschen offensichtlich an diesen Zustand gewöhnt.

Morgen beginnt dann die 2. Vertragsstaatenkonferenz.

Treffen mit Branislav Kapetanovic auf der 2. Vertragsstaatenkonferenz zum Verbot von Streumunition, Beirut / Lebanon
Treffen mit Branislav Kapetanovic auf der 2. Vertragsstaatenkonferenz zum Verbot von Streumunition, Beirut / Lebanon

Reisetagebuch, Tag 3, 13.9.2011

Hinein in eine andere Welt: fernab von Staub, Hitze und kontaminierten Feldern beginnt in der libanesischen Hauptstadt Beirut, in einem edlen 5-Sternehotel die 2. Vertragsstaatenkonferenz zum Verbot von Streumunition. Nach und nach treffen Regierungsdelegationen und Nicht-Regierungsorganisationen ein. Wir treffen auf viele alte Bekannte und Mitstreiter/innen, u.a. auf Branislav Kapetanovic. Der Serbe ist selbst Opfer von Streumunition und ein ausgewiesener Aktivist für ein umfassendes Verbot dieser heimtückischen Waffe. Er hat uns im Mai 2011 in Deutschland besucht. Er war es, der mit seiner bewegenden Rede vor der Hauptversammlung der Deutschen Bank Vorstandschef Ackermann zu der Aussage bewegte, dass wir „zuversichtlich sein (könnten), dass sich die Deutsche Bank aus dem Investment in Streumunition zurückzieht“. Neugierig fragt er nach, was seither passiert ist. Leider müssen wir ihn enttäuschen: Recherchen haben ergeben, dass die Deutsche Bank Group weiter massiv in Streumunition investiert ist, auch ganz aktuell. Bratislav gibt dem ZDF ein Interview.

Branislav Kapetanovic auf der 2. Vertragsstaatenkonferenz in Beirut / Lebanon
Branislav Kapetanovic auf der 2. Vertragsstaatenkonferenz in Beirut / Lebanon

Branislav ist einer der ersten Redner bei der Eröffnung der Konferenz, von einigen Vertreter/innen aus Reihen der Zivilgesellschaft, wird er gerne als einer der „Väter des Vertrages“ bezeichnet, weil er von Anfang an bei den Verhandlungen mit dabei war.  Natürlich erwähnt er bei seiner Rede, dass jedwedes Investment in Streumunition nach dem Vertrag verboten ist. Er erhält viel Beifall. Im weiteren Verlauf der Konferenz berichten die unterschiedlichen Vertragsstaaten über die Fortschritte im eigenen Land. Aus Deutschland gibt es in Sachen Investmentverbotsgesetz nichts Neues zu berichten. Leider – zahlreiche andere Länder haben das längst beschlossen.

Morgen geht’s noch mal auf die 2. Vertragsstaatenkonferenz und am Abend dann zurück nach Deutschland.

Reisetagebuch, Tag 4, 14.9.2011

Am 2. Tag der Vertragsstaatenkonferenz kündigte die Schweiz an die Oslo Konvention zu ratifizieren. Verboten werden sollen damit auch die direkte und indirekte Finanzierung von verbotenem Kriegsmaterial. Als direkte Finanzierung gelten laut Schweizer Bundesrat etwa Kredite, Darlehen und Schenkungen. Als indirekte Finanzierung gilt insbesondere die Beteiligung an Gesellschaften, die verbotenes Kriegsmaterial entwickeln, herstellen oder erwerben.

Handicap International Schweiz kritisierte, dass die Konzepte über direkte und indirekte Finanzierungsverbote, die in das neue Gesetz eingebracht werden sollen, verschiedene Einschränkungen enthalten. Während nämlich die direkte Finanzierung verboten ist, wird die indirekte Finanzierung nur dann untersagt, „wenn sie darauf ausgerichtet ist, die direkte Finanzierung zu umgehen“ (Art. 8b Abs. 2), was unmöglich sei zu beweisen.

In Artikel 35b Abs.2 legt das neue Gesetz dar, so Handicap International Schweiz, dass im Falle indirekter Finanzierungen der Urheber dann nicht strafbar ist, wenn „er sich nur mit der Möglichkeit eines Verstosses gegen das Finanzierungsverbot arrangiert“ […] . Um solche Möglichkeiten weitestgehend zu reduzieren, und um dieses Verbot wirklich sinnvoll zu machen, fordert Handicap International, dass die Schweiz aktiv zur Erstellung einer internationalen Liste der Firmen beiträgt, die Streumunition herstellen.

Die deutsche Delegation äußerte sich nicht zum Thema Finanzierung von Streumunition und gab dem ZDF-Fernsehteam auch kein Interview dazu.

Barbara Happe & Thomas Küchenmeister