EuGH-Urteil: Kennzeichnung israelischer Siedlerprodukte künftig Pflicht

Während eine neue Welle der Gewalt zwischen Israel und der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad aus dem Gazastreifen die Region heimsucht und Zivilist*innen auf beiden Seiten gefährdet, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) hierzulande über die Kennzeichnungspflicht von Lebensmittel aus den von Israel besetzten Gebieten entschieden.

Lebensmittel für den europäischen Markt, die ihren Ursprung in israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten haben, müssen künftig eindeutig als solche gekennzeichnet werden. Dies sieht ein Beschluss des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12. November 2019 in Luxemburg vor. Nach EU-Recht muss üblicherweise das Ursprungsland auf Produkten angegeben werden. Im Fall von Waren aus israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten hat der EuGH nun geregelt, dass diese entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Auf diese Weise könne eine Irreführung der Verbraucher*innen vermieden werden, da „der Staat Israel in den betroffenen Gebieten als Besatzungsmacht und nicht als souveräne Einheit präsent ist“, so der EuGH.

Nicht nur innerhalb des EuGH und der EU, sondern auch in der internationalen Gemeinschaft (einschließlich den Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz) herrscht die Rechtsauffassung, dass es sich im Fall der palästinensischen Territorien um besetzte Gebiete handelt. Dies gilt für das Westjordanland, den Gazastreifen und das annektierte Ostjerusalem. Israel verstößt im Zuge der Besetzung palästinensischer Gebiete sowie der Annexion Ostjerusalems gegen internationales Recht und kommt seinen rechtlichen Verpflichtungen als Besatzungsmacht, die sich aus dem humanitären Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsnormen ergeben, nicht oder nur unzureichend nach. Dies gilt beispielsweise für Siedlungsaktivitäten, Landnahme, die Zerstörung von Infrastruktur der besetzten Bevölkerung oder der Ausbeutung von Ressourcen.

In mehr als 250 Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem leben mehr als 600.000 israelische Siedler*innen. Die Infrastruktur israelischer Siedlungen teilt zahlreiche palästinensische Städte und Dörfer und schränkt die Bewegungsfreiheit der Palästinenser*innen massiv ein, die oftmals in Enklaven isoliert voneinander leben. Die Siedlungen erschweren den Zugang zu natürlichen Ressourcen und Möglichkeiten zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Palästinenser*innen können rund 60 Prozent der unter israelischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung stehenden Territorien im Westjordanland, in welchen sich wichtige natürliche Ressourcen befinden, nicht nutzen.

Jede Maßnahme in den israelischen Siedlungen der besetzten Gebiete erfordert dabei zunächst eine Finanzierung. Die vor kurzem veröffentliche Studie der NGO Facing Finance „Okkupiert, Annektiert und Profitiert – Palästinensische Gebiete, Westsahara, und Krim“ zeigt, dass zahlreiche deutsche Banken und Finanzdienstleister Finanzbeziehungen zu privaten Wirtschaftsunternehmen unterhalten, die im israelischen Siedlungsgebiet im Westjordanland und auf den Golanhöhen wirtschaftlich aktiv sind. Dadurch profitieren Finanzdienstleister nicht nur von Geschäftstätigkeiten in Verbindung mit völkerrechtswidrigen Handlungen in besetzten Gebieten, sondern befördern diese auch. „Nicht nur Unternehmen sondern auch ihre Finanzdienstleister müssen die Normen des humanitären Völkerrechts in Bezug auf den Schutz der Menschen in besetzten und annektierten Gebieten berücksichtigen“, fordert Thomas Küchenmeister, geschäftsführender Vorstand von Facing Finance. Unternehmen, die Aktivitäten ausüben, die zur Entwicklung, Erhaltung und Erweiterung von Siedlungen in den besetzten Gebieten beitragen oder sich an der Aneignung und Zerstörung von Land und Eigentum beteiligen, sowie ihre Finanzdienstleister setzen sich dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Komplizenschaft an Kriegsverbrechen aus, führt der Herausgeber und Ko-Autor der Studie zudem weiter aus.

Erste Unternehmen haben selbstständig begonnen, wirtschaftliche Aktivitäten in besetzten und annektierten Gebieten zu beenden und einige Finanzdienstleister haben erste Beteiligungen an Unternehmen veräußert, die in besetzten Gebieten aktiv sind. Dies gilt allerdings kaum für deutsche Unternehmen und ihre Banken und Finanzdienstleister hierzulande. Dementsprechend sind zahlreiche Unternehmen und Finanzdienstleister aus Deutschland direkt oder indirekt in besetzten Gebieten wirtschaftlich aktiv und/oder profitieren von illegalen Aktivitäten in besetzten Gebieten.

Das EuGH-Urteil ist ein wichtiger Schritt, um die Ausbeutung von Ressourcen in den besetzten palästinensischen Gebieten weniger attraktiv zu machen. Die Kennzeichnungspflicht für israelische Siedlerprodukte erlaubt es Verbraucher*innen, ethische Überlegungen und Erwägungen in ihre Kaufentscheidung miteinzubeziehen. Zeitgleich besteht gerechtfertigte Kritik, dass die EU uneinheitliche Standards anlegt. Sie sollte daher dringend einen einheitlichen Regulierungsansatz für die Kennzeichnung von Produkten und den Handel mit Waren aus allen besetzten und annektierten Gebieten beschließen – von den besetzten palästinensischen und syrischen Gebieten über Nordzypern hin zur Krim und bis zur Westsahara.