Wie Turbinen von Siemens auf der Krim landen konnten

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Der deutsche Konzern Siemens soll EU-Sanktionen missachtet und geltendes Völkerrecht gebrochen haben. Der Anfang dieses Monats bekannt gewordene Vorwurf lautet: Siemens liefert Gasturbinen auf die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim.

Wirtschaftliche Aktivitäten auf besetzten Territorien sind völkerrechtswidrig

Die Krim wurde im März 2014 im Laufe des Ukraine-Konflikts und nach der Durchführung eines umstrittenen Referendums durch Russland annektiert, was die Vereinten Nationen (VN) in einer Resolution scharf verurteilten. Auch das von Russland zur Legitimation herangezogene Krim-Referendum wurde durch die VN nicht anerkannt.[1]

In Reaktion auf die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim erließen die EU und die USA zudem Sanktionen, die wirtschaftliche Aktivitäten auf der Krim untersagen.

Auch die seit 2011 installierten UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte [2] weisen Regierungen – was Deutschland einschließt – auf die Notwendigkeit hin, gesetzliche Maßnahmen bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten durch Unternehmen (und auch durch Banken) zu ergreifen. Unternehmen sollen demnach nachdrücklich auf Risiken von wirtschaftlichen Aktivitäten in Ländern und Gebieten hingewiesen werden, in denen bewaffnete Konflikte bzw. Menschenrechtsverletzungen herrschen.

Dennoch deutet vieles darauf hin, dass, Siemens mit der Lieferung von Turbinen auf die Krim gegen geltendes Recht verstoßen und internationale Sanktionen mehr oder weniger wissentlich umgangen hat.

Des Hintergrund des Falles

Siemens, bzw. das russisches Joint Venture Siemens Gas Turbines Technologies LLC (SGTT), welches zu 65 % von Siemens und zu 35 % von einem russischen Milliardär gehalten wird, sollte ursprünglich vier Gasturbinen für einen Kraftwerk-Neubau im südrussischen Taman produzieren.[3] Auftraggeber war Technopromexport (TPE), eine Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Rostec. Das geplante Kraftwerk in dem weniger als 20 km Wasserweg von der Krim entfernten Taman wurde jedoch nie gebaut, da auf die Ausschreibung keine Bauangebote eingingen.

Mittlerweile sind mindesten zwei der insgesamt vier vom Siemens Joint Venture SGTT hergestellten Turbinen auf der Krim gelandet. Für die beiden anderen Turbinen ist der Verbleib unklar, bzw. werden sie auch schon auf der Krim vermutet.[4]

Siemens selbst spricht von einem Bruch der Lieferbedingungen und hat bei einem Moskauer Wirtschaftsgericht Klage gegen den Abnehmer TPE eingereicht.[5] Ob Siemens wirklich nichts davon geahnt haben konnte, dass die Turbinen auf der Krim laden würden, ist jedoch mehr als fraglich.

Bereits im Sommer 2016 warnte Reuters in einem Bericht [6] davor, dass für die beiden auf der Krim neu entstehenden Kraftwerke in Simferopol und Sevastopol nur von Siemens hergestellte Turbinen kompatibel seien. Auch die Pläne für den Bau des Kraftwerks in Taman entstanden gleichzeitig mit den Plänen für die Kraftwerke auf der Krim. Als dann im September 2016 die Turbinen in das russische Rostow geliefert wurden, kam der Plan für den Bau des Kraftwerks in Taman vollständig zum Erliegen und das Projekt wurde für insolvent erklärt.[7] Die Turbinen wurden jedoch von TPE aus der Insolvenzmasse „gerettet“. An dieser Stelle erlangte Siemens offenbar auch Kenntnis über die Vorgänge und stoppte die Lieferung weiterer Teile für das Kraftwerk in Taman.[8] [9]

Ein weiteres Siemens-Joint-Venture („Interautomatika“) sollte die notwendige Expertise zum Aufbau der Turbinen im Kraftwerk von Taman bereitstellen. Interessanterweise wird Interautomatika nicht nur zu 45,7 % von Siemens gehalten, sondern auch zu 17 % vom Auftraggeber TPE und zu 37 % von dem russischen Energieforschungsinstitut VTI, welches auf seiner Website u. a. das russische Energieministerium, das russische Ministerium für ökonomische Entwicklung und das russische Ministerium für Bildung und Wissenschaft als Partner angibt.[10] Siemens‘ Angaben zufolge wurde dieser Auftrag ebenfalls gestoppt, jedoch wird das von einem Medienbericht in Frage gestellt.[11]

TPE selbst behauptet, die Turbinen auf einem Sekundärmarkt erworben zu haben. Sie wurden angeblich zuvor durch nicht veröffentlichte russische Unternehmen umgerüstet und modernisiert, sodass sie nicht mehr direkt als Siemens-Produkte erkennbar seien.[12] Einigen Quellen zufolge soll sogar Interautomatika in diesen Umrüstungsprozess involviert gewesen sein.[13]

Ein Regierungsbeamter der Krim äußerte sich wie folgt zu dem Fall: „Kommen Sie schon, wir können nicht darüber sprechen. Sie verstehen, Sanktionen, Siemens.“[14]

Siemens‘ Verantwortung

Inwieweit kann nun Siemens dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Turbinen auf die Krim gelangten und somit internationales Recht gebrochen wurde?

Zunächst einmal hätte es Siemens schon 2016 auffallen müssen, „dass die beiden Kraftwerke auf der Krim stetige Baufortschritte machen, während mit dem Bau des Kraftwerks in Taman nie begonnen wurde“.[15] Dies hätte als erster Hinweis dafür dienen können, zu erkennen, dass ein Verstoß gegen die Vertragsvereinbarungen und somit ein Bruch der Sanktionen bevorstand. Darüber hinaus hätte der Konzern wissen müssen, dass für die geplanten Kraftwerke auf der Krim lediglich Siemens-Turbinen kompatibel sein würden. Dennoch wurden diese Zusammenhänge von Seiten des Konzerns offenbar bewusst nicht erkannt und es wurde erst reagiert, als die notwendigen Turbinen schon ausgeliefert wurden.

Auch die Klage von Siemens bei einem Moskauer Wirtschaftgericht kann eher als ein halbherziger Versuch gedeutet werden, den entstandenen Imageschaden des Konzerns zu begrenzen und nicht den Bruch der Liefervereinbarungen zu ahnden, denn üblicherweise würde ein solcher Fall vor einem internationalen Gericht verhandelt werden („Prinzip erhöhter Rechtssicherheit“).[16] Zudem ist fraglich, inwieweit Siemens überhaupt juristisch haftbar ist, da die umstrittenen Turbinen von dem Joint Venture SGTT, welches eine russische Gesellschaft darstellt, produziert wurden und russische Gesellschaften, die nach Russland liefern, keinen Sanktionskontrollen unterliegen.[17]

Schließlich lassen die Äußerungen der Europäischen Kommission und des deutschen Wirtschaftsministeriums an der Effektivität solcher Sanktionen zweifeln: Die Europäischen Kommission ließ verlauten, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten die Verantwortung für die Einhaltung der EU-Sanktionen trügen, eine Sprecherin des deutschen Wirtschaftministerium verwies dafür jedoch auf die Unternehmen selbst – also auf Siemens.[18][19] Eine unabhängige Behörde, die die Einhaltung von wirtschaftlichen Sanktionen überwacht, gibt es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene nicht.[20]

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Siemens bei dem Turbinengeschäft offenbar nicht seiner unternehmerischen Verantwortung nachkam und die offensichtlichen Hinweise auf den Sanktionsbruch ignorierte. Zudem scheint es offensichtlich, dass der Politik keine Mittel zur Verfügung stehen bzw. es an politischem Willen fehlt, die Einhaltung erlassener Sanktionen durchzusetzen.

[1]http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/68/262 (19.07.2017)

[2]http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciples BusinessHR_EN.pdf (19.07.2017)

[3]http://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-exclusive-idUSKCN10G22G (18.07.2017)

[4]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-siemens-turbine-idUSKBN19X2Z9 (18.07.2017)

[5]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-siemens-court-idUSKBN19W1EW (18.07.2019)

[6]http://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-exclusive-idUSKCN10G22G (19.07.2017)

[7]http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/krim-krise-reisst-siemens-nach-russland-geschaeft-mit-15094753.html (18.07.2017)

[8]http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/sanktionen-wie-konnten-siemensprodukte-auf-die-krim-gelangen-15098668.html

[9]http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/russland-sanktionen-siemens-bestaetigt-turbinenlieferung-auf-die-krim-a-1157053.html

[10]http://vti.ru/en/ (19.07.2017)

[11]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-commissio-idUSKBN19T0VA (19.07.2017)

[12]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-commissio-idUSKBN19T0VA (19.07.2017)

[13]http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/sanktionen-wie-konnten-siemensprodukte-auf-die-krim-gelangen-15098668.html

[14]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-siemens-turbine-idUSKBN19X2Z9 (18.07.2017)

[15]http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-siemens-turbinen-auf-der-krim-sind-kein-geschmuggelter-auspuff-1.3584295 (19.07.2017)

[16]http://www.taz.de/!5427230/ (19.07.2017)

[17]http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/siemens-will-russischen-partner-anzeigen-15100280.html (19.07.2017)

[18]http://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-exclusive-idUSKCN10G22G (18.07.2017)

[19]https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-crimea-power-germany-idUSKBN19V177 (18.07.2017)

[20]http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/wurden-weitere-siemens-turbinen-auf-die-krim-geliefert-15104022.html (19.07.2017)